Donnerstag, 7. November 2013


Rückblick und Résumé

 

So, meine Lieben... inzwischen ist es fast vier Monate her, dass ich das letzte Mal gepostet habe und ich finde es wird Zeit, euch mein kleines Résumé/Fazit des Ganzen zu präsentieren. Ich habe mir wirklich Zeit gelassen, das weiß ich wohl. Ich muss auch sagen, dass ich erst jetzt damit abschließen kann, was ich vorher auch nicht gedacht hätte, da ich mich ja schon sehr auf meine Rückkehr gefreut hatte. Jetzt allerdings holt mich der graue, kalte deutsche Alltag ein und ich dümpele ein bisschen vor mich hin, während die meisten meiner Freunden voll in Uni-/Feierstress versinken.

Trotzdem, wenn ich mir überlege, dass ich tatsächlich ein ganzes Jahr im Ausland verbracht habe, kann ich es jetzt gar nicht fassen. Einerseits bin ich schon wieder voll in meinen mehr oder weniger gewohnten Alltag in Deutschland eingestiegen, auf der anderen Seite hänge ich in Gedanken oft in Tansania, meiner Gastfamilie, den Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe und einigen dazugewonnenen Freunden. Und obwohl es mir oft so weit weg vorkommt, erwische ich mich dabei, wie ich vergleiche. Wie zum Beispiel im Supermarkt, wo es eine riesige Auswahl an Tiefkühl-, Konservenprodukten oder Süßigkeiten gibt, doch beim Obst und Gemüse vermisse ich den Markt in Mwika, wo es die köstlichsten und vor allem frischen Mangos, Orangen, Bananen, Avocados usw. gibt.


Das könnte ich jetzt ewig ausführen, doch ich möchte mich natürlich nicht nur auf den kulinarischen Teil beziehen. Wenn ich eines vermisse, dann ist es die Gelassenheit und das große Vertrauen auf Gott und die Dinge in gewissen Lagen. In Deutschland vertraut der Mensch auf feste Terminvereinbarungen, darauf, dass die Technik einwandfrei funktioniert und man es so unkompliziert wie möglich hat. Möglichst schnell von A nach B kommen, aber bitte bequem! Schneller, besser.

Ein „Hallo“ zwischendurch ist meist nicht drin. Auch wenn ich jetzt auf dem Land wohne und nicht mehr in einer Großstadt wie Berlin, ist es nicht selbstverständlich, dass man sich grüßt, wenn man beim Bäcker mal Brötchen holen geht. Oft werde ich schief angeguckt oder meine Begrüßung wird stumpf ignoriert. Wenn man sich kennt, kein Problem, doch mal mit einem Fremden im Bus ins Gespräch kommen ist schwerer als gedacht. Das geht in Berlin schon besser. Wenn ich jetzt zurückdenke an so manche Busfahrten in Tansania von Uuwo nach Himo zur Arbeit muss ich schmunzeln. Zu Anfang waren diese Gespräche super. Man kommt mit Menschen ins Gespräch, kleines Sprachtraining und die ersten Erfolge werden sichtbar. Dann nach einem halben Jahr war ich es oft leid und wollte, verdammt nochmal, einfach meine Ruhe haben! Ist das so schwer zu verstehen?! Ja.  In Tansania zählt die Gemeinschaft. Nichts geht über Familie und die Gemeinde. Es hat viel Schönes an sich, aber als Europäerin verliert man auch mal die Nerven. Individualismus und Anonymität haben mir ab und an doch gefehlt, denn als Weiße/r ist man quasi sowieso immer und überall im Mittelpunkt des Geschehens. Doch jetzt begreife ich den Wert der Gemeinschaft. Es gibt in Tansania weder eine geregelte Krankenversicherung noch Rente. Wenn man versucht einem Tansanier zu erklären, was ein Altersheim ist, guckt dieser nur verdattert oder fängt an zu lachen. Nur in der Gemeinschaft, in der Familie kann man überleben, deshalb auch immer wieder die Frage, warum ich noch nicht verheiratet sei.


Hochzeit, Feld und Kinder, die Grundlage der meisten Menschen in Tansania. Feldarbeit, Kochen, Waschen, Holz holen für die Feuerstelle usw.

Dies sind alles ganz normale Aufgaben im Alltag, wobei mir häufig aufgefallen ist, was für eine große Rolle die Frau, die „Mama“ spielt. Sie ist für Kinder und Haushalt zuständig, erledigt Markteinkäufe und steht mit ihrer Hacke auf dem Feld. Sie trägt die schweren Bananenstauden auf dem Kopf kilometerweit auf den Markt und verhandelt eisern. Es herrscht das klassische Rollenbild, Tansania ist sehr konservativ. Wenn in den Schulen Putzen angesagt ist, sind es meist die Mädchen, die den Besen schwingen müssen, die Jungs bekommen „andere Aufgaben“. Ein Hinweis auf die doch sehr konservativ geprägte Gesellschaft ist die ganz einfache und sichtbare Tatsache, dass die Mädchen und Frauen in der Regel Röcke tragen, die mindestens bis zum Knie gehen. In den Städten mag es nochmal anders aussehen, doch in ländlichen Regionen wie Uuwo sind Hosen oder gar enge Jeans kaum (und wahrscheinlich auch nicht gern) gesehen. In dem ganzen Jahr, das ich dort war, war ich nicht einmal in einer Hose auf der Arbeit, selbst an den schlammigsten Regentagen. Anfangs hat mich das tierisch gestört, da ich generell lieber Hosen trage und es gewohnt war, das anzuziehen, was ich möchte. Sicher hatte ich auch damals schon den Anstand, nicht gerade einen Minirock oder eine knallenge Jeans anzuziehen, wenn es um die Arbeit ging, dennoch brauchte ich eine Weile bis ich mich an den langen Rock und die eingeschränkten Auswahlmöglichkeiten  gewöhnt hatte und es sogar äußerst bequem und modisch fand. Ich war ja nicht gekommen, um anderen meine Kultur aufzuzwingen, sondern mich an deren anzupassen, was mir dann doch ganz gut gelang, auch wenn ich vorher mit einigen Fettnäpfchen zu kämpfen hatte. Man sagt ja, aus Fehlern lerne man. Dies kann ich nur bestätigen, auch wenn es nicht die schönste Methode des Lernens ist. Aber in Tansania ist es generell eher schwierig, Fehler zu begehen oder besser gesagt, auf diese aufmerksam gemacht zu werden. Selbst, wenn man nachfragt bekommt man nur ein „hamna shida“ zu hören und ein Lächeln, was dir zeigt, dass da irgendwas nicht richtig sein kann. Hamna shida ist Kiswahili und bedeutet Kein Problem. Leider entstehen aus diesem eindeutigen und einfachen Satz mehr und mehr Probleme, weil du dir den Kopf zerbrichst und nicht darauf kommst, was es sein kann, warum dich Leute schief angucken oder eben weil du gar nicht merkst, wie du in dein Elend des Kulturunterschieds rennst, weil eben keiner was sagt und alle nur lächeln wie immer. Nach und nach konnte ich dann doch ein Verständnis für die tansanische Kultur entwickeln und viele meiner zuvor schon betretenen Fettnäpfchen umgehen. Man beobachtet, vergleicht, passt sich an.

Doch so sehr man auch versucht, sich zu integrieren und dazu zu gehören, es will einfach nicht klappen. Die Hautfarbe spielt eine zu große Rolle und bildet oft ein Hindernis, sich anzunähern, zumindest was über den oberflächlichen und meist aus Neugier geweckten Smalltalk hinausgeht. Es folgt Frust und Enttäuschung, weil es eben doch nicht das war, wonach man gesucht hat oder was man sich in dem Moment erhofft hatte, eine Freundschaft nämlich. Aber auch damit konnte ich später ganz gut umgehen. Meine besten Freunde waren meine Gastmutter, meine Gastgeschwister und alle, die da noch so zugehören, wie Cousinen, Tanten usw. Zuhause in Uuwo konnte ich sein, wie ich wollte. Da störte sich niemand an Hosen oder daran, dass ich den einen oder anderen Nachmittag ganz gern mal nur für mich in meinem Zimmer verbrachte. Dort fand ich den perfekten Ausgleich zu meinem Arbeitsalltag, in dem viel über Stock und Stein gelaufen wurde, die verschiedensten Menschen in teilweise ärmlichsten Verhältnissen besucht wurden und ich erst einige persönliche Grenzen überschreiten musste, bevor ich richtig in meiner Arbeit ankommen konnte.

Ich weiß noch, wie wir unseren ersten Gemeinderundgang machten und uns eine Frau in ihre dunkle Lehmhütte hineinbat, da sie selbst nicht mehr gut gehen konnte und jeder Schritt ihr eine Qual ist. Es roch nach Urin, ihre Matratze war völlig vollgestaubt und verdreckt. Sie lud uns mit einem Lächeln ein, darauf Platz zu nehmen. Es kostete mich einige Überwindung, denn ich spürte Ekel, den ich eigentlich gar nicht empfinden wollte. Dann ein Händedruck. Mit ihrer Hand hatte sie sich vorher die Sabber von den Mundwinkeln gewischt. Das Ekelgefühl ließ nicht nach und ich war froh, nach ca. zehn Minuten wieder draußen zu stehen. Jetzt fragt man sich bestimmt, was ich dann in Tansania wollte und wie ich wohl den Rest des Jahres überhaupt aushalten konnte. Nach und nach gewöhnte ich mich daran. Es blieb mir ja auch nichts anders übrig, da dies nun Dinge waren, die zu meinem Alltag einfach dazugehörten und letztendlich machte es mir gar nichts mehr aus, im Gegenteil. Es gab unheimlich viele skurrile, in dem Moment vielleicht unangenehme Situationen, die ich heute aber niemals missen möchte und an die ich mich oft lachend oder zumindest schmunzelnd zurückerinnere. Einmal wollte eine Bibi (alte Frau), dass wir ihr ein deutsches Lied vorsingen und bekam einfach nicht genug von uns, sodass wir geschlagene zehn Minuten Lieder trällerten bzw. händeringend nach anderen Liedern suchten, deren Text wir beide mitsingen konnten, was sich als eher schwierig gestaltete, wobei ich heute denke, dass wir auch einfach durcheinander kreuz und quer hätten singen können und sie wäre immer noch unser größter Fan gewesen. Ich habe gelernt, mich auf Dinge einzulassen, die mich zuallererst abschrecken mögen, doch die mir einige Überraschungen bereithalten, wenn ich sie nur angehe. Trotzdem bin ich mir meiner selbst bewusster geworden und kenne meine Werte, die ich ungern verwerfe. Ich möchte mich weiterhin trauen, auch mal mein Recht einzufordern, Dinge abzulehnen. Was dies betrifft, gab es einige Situationen, in den ich vergeblich um dieses kämpfte.

Wenn wir für die Rundgänge in die Gemeinden geladen wurden, wurde vorher immer Tee und anschließend Mittagessen gereicht, was in Tansania selbstverständlich ist, wenn man Gäste hat. Es sei gesagt, dass das Essensangebot keine Option, sondern eine Pflicht ist. Der Gast hat etwas zu essen. Nie habe ich etwas abgelehnt, doch oftmals war ich schon satt, bevor ich überhaupt angefangen hatte zu essen. Und dann noch der große Druck, der auf mir lastete und die vielen Augen, die quasi ununterbrochen auf meinen Teller starrten, waren nicht gerade die größte Hilfe. In Tansania wird in der Regel mit sehr viel Öl gekocht, alles ist sehr fettig und wenn es Fleisch gibt, was eigentlich immer der Fall war, wenn wir zu Gast waren (man will ja was bieten und den Gästen nur das Beste), war dieses eher zäh, knorpelig oder pures Fett. Ich bin keine Vegetarierin, doch ich esse nur selten Fleisch und in Maßen. Das verstehen viele Tansanier/innen leider nicht und füllen deinen Teller immer wieder auf, ob du willst oder nicht. Ich gab immer mein Bestes, die Erwartungen, die man an mich hatte, zu erfüllen, doch nach einem dreiviertel Jahr konnte ich nicht mehr und musste beschließen, das Unhöflichste zu tun, was überhaupt geht in Tansania: ablehnen. Es lag nicht nur an meinem Unwillen, auch mein Magen beschwerte sich öfters, vor allem nach der Fettsuppe, die ich einfach nicht mehr herunterkriegen konnte. Ich versuchte mit allen Mitteln, dies meinen lieben Gastgebern zu vermitteln und siehe da, einige akzeptierten und kochten beim nächsten Mal Reis anstatt Fettsuppe. Sie ließen uns essen, so viel bzw. so wenig wie wir wollten und ließen die Finger von der Schöpfkelle. Der ein oder andere Spruch musste immer noch sein, wie zum Beispiel: Habt ihr etwa Angst, fett zu werden? Fett ist doch schön! Doch im Großen und Ganzen waren wir dann auch schon lang genug da und wurden als Mitglieder des Teams gesehen, weniger als Gäste, was mich sehr freute.
Standardgericht: Ugali Maharagwe, Maismehlmasse mit Bohnen
 

 
Und dies betraf nicht nur den eigenen Teller. Ich würde sagen, am Ende des Jahres wurden wir als vollwertige Mitarbeiter und Teil ihrer Gesellschaft verabschiedet. Es fiel mir schwer, zu gehen und ich hoffe, eines Tages wiederzukommen und nicht nur als Tourist oder Besucher aufgenommen zu werden, was sich dann aber erst herausstellen wird. Ich habe an vielen Dingen dazugewonnen, wie an Geduld und Zuversicht. Meine Erfahrungen in Tansania werden mich weiterhin begleiten und auch wenn ich es in meinem heutigen Alltag nicht immer spüren sollte, ist wohl ein großer Teil von mir noch dort.

Ein letztes Foto... Maren, Sweety, Winna, Samira und ich in Majengo
 
Macht es gut und vielleicht/ hoffentlich hört ihr bald wieder von mir und meinem nächsten Auslandsaufenthalt :)

Eure Vipi
 
 










Und zu guter Letzt: Ein Daladala in Moshi am Busstand- ich hasse die spärlich gefüllten S-Bahnen und Busse in Deutschland, irgendwie ungemütlich, nicht so kuschelig...

Yesu ni jibu - Jesus ist die Antwort

 

 

 

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